Hallo zusammen
es gab neulich erst wieder den indirekten Hinweis, dass insbesondere bei Wellis mit Handycap das Tierschutzgesetz zu beachten sei. Unabhängig der Äußerungen eines bestimmten Users, hat mich das Thema einfach mal interessiert und ich habe mir den entsprechenden Gesetzestext angesehen. Bekanntermaßen ist es ja so, dass Gesetze nicht immer eindeutig formuliert sind und somit einen entsprechenden Interpretationsspielraum bieten. Daher ist es auch nicht abwägig, wenn der eine es anders versteht als der andere. Ich selbst bin keine Juristin, habe aber im Rahmen meines kürzlich absolvierten Studiums auch Rechtswissenschaften gelernt. Unabhängig vom Rechtsgebiet wird als erstes ein Grundprinzip gelehrt, dass beim Lösen und Beurteilen von Fällen anzuwenden ist: Das Prinzip der Subsumtion. Hierbei müssen zu jeder Frage die Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Gesetzestextes mit den vorliegenden Fakten verglichen werden.
!!! Vorab: Dieses Thema soll der sachlichen Diskussion dienen, sodass jeder sein Verständnis bzw. seine Sichtweise und seine Erfahrungen dazu beitragen kann. Jeder soll auch weiterhin in seinem eigenen und dem Interesse seiner Wellis denken und handeln. Es soll also niemand einfach verurteilt oder gar als "Straftäter" abgestempelt werden, nur weil er Handicap Wellis hält. !!!
Nun zum Eigentlichen, dem betreffenden Auszug aus dem Tierschutzgesetz:
§ 3 Absatz 2
Es ist verboten,
2.ein gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes, im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier, für das ein Weiterleben mit nicht behebbaren Schmerzen oder Leiden verbunden ist, zu einem anderen Zweck als zur unverzüglichen schmerzlosen Tötung zu veräußern oder zu erwerben; dies gilt nicht für die unmittelbare Abgabe eines kranken Tieres an eine Person oder Einrichtung, der eine Genehmigung nach § 8 Absatz 1 Satz 1 und, wenn es sich um ein Wirbeltier handelt, erforderlichenfalls eine Genehmigung nach Vorschriften, die auf Grund des § 9 Absatz 3 Nummer 1 und 2 erlassen worden sind, für Versuche an solchen Tieren erteilt worden ist,
Den Abschnitt nach dem Kommata lassen wir mal außer Acht, denn für den normalen Wellihalter gelten die Vorschriften für Tierversuche nicht, denn darum geht es da. Schauen wir uns den ersten und wichtigsten Teil an. Relevante Stellen habe ich fett hervorgehoben.
Wenn wir die dritte Stelle zuerst betrachten, es is verboten, "zu veräußern oder zu erwerben", dann stellt sich für mich als erstes die Frage: Ist dieser Gesetzestext NUR bei Verkauf/Abgabe bzw. Erwerb/Aufnahme eines Wellis zu beachten? Denn es wird ja nicht ausgesagt, "weiterhin zu halten".
Unabhängig davon, kommen wir zu den anderen Teilen. Es ist verboten, "ein gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes" ... Hier wäre also zu überprüfen, inwieweit ist das Tier gebrechlich, krank, abgetrieben oder alt? Dieser Zustand muss eindeutigerkennbar oder anderweitig nachweisbar/belegbar sein! Und selbst wenn es der Fall ist, dann folgt eine weitere Bedingung, und zwar: "für das ein Weiterleben mit nicht behebbaren Schmerzen oder Leiden verbunden ist". Also wäre erst im zweiten Durchgang zu prüfen, ob das Tier durch ein Weiterleben an nicht behebbaren Schmerzen oder ähnliches leiden muss. Dies wäre z. B. dann NICHT der Fall, wenn durch eine Medikation oder bestimmte Nahrungsergänzung Linderung oder gar Beseitigung der Leiden geschaffen werden kann.
Betrachten wir das Ganze unter dem Aspekt, dass es nur ums "veräußern und erwerben" geht, so könnte man annehmen, dass der Gesetzestext auf einen bereits gehaltenen Welli der irgendwann mal erkranken sollte, NICHT zutrifft.
Bleiben wir beim veräußern und erwerben, würde sich nicht nur der Halter, sondern auch der ehemalige Besitzer, Züchter und sogar der Tierarzt strafbar machen, wenn letzterer einen sogenannten Eingangscheck durchführt und das Tier zur Haltung freigibt statt es einzuschläfern.
Dann kommen wir wieder zur Aussage: ein gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes Tier. Gebrechlich mag zwar auch auf behinderte Wellis zutreffen, aber wann ist eine Behinderung als krankhaft anzusehen? Hier käme z.B. wieder die Grundsatzfrage im Vergleich zu einem Menschen im Rollstuhl. Dieser wird ja auch nicht gleich "um die Ecke gebracht", nur weil er nicht mehr laufen kann? Habe auch schon Hunde und Katzen mit amputiertem Bein gesehen, warum wurden die nicht gleich eingeschläfert?
Fakt für jeden mit Menschen- und gewisssermaßen auch Tierverstand ist doch, dass wenn es tatsächlich so offensichtlich ist, dass ein Tier (Welli) nicht mehr ohne starke Schmerzen oder anderen Beeinträchtigungen weiterleben kann, dass dieser so weh es auch tut erlöst wird. So habe ich es bisher von vielen hier gelesen, deren Wellis sogar bis zuletzt kerngesund und körperlich unbeeinträchtigt waren.
Dann kommt ja noch der Unterschied hinzu, dass man wildlebende Tiere nicht mit domestizierten vergleichen kann. Ein Welli, der nicht mehr fliegen kann z. B., würde in der Natur umgehend sterben, zum sterben gebracht oder gar aufgefressen werden. In Obhut des Menschen, im kleinen Raum jedoch, ist er geschützt und kann abgesehen vom Fliegen all seinen Trieben und Leidenschaften nachgehen. Dass Flugunfähigkeit später zu Folgeerkrankungen führen kann, wäre eher zweitrangig zu betrachten. Der Gesetzestext sagt mir, dass ich den aktuellen Zustand im jetzigen Moment zu betrachten habe. Und wenn da nichts dergleichen vorliegt, warum dann eine "eventuelle" Entscheidung treffen?
Ich nehme als Beispiel gerne mal unser Schätzchen Louie. Dieser litt bereits als Küken unter einer Nervenstörung, entweder verursacht durch einen Sturz durch Ausschluss vom Muttertier oder durch mangelnde Ernährung. Laut TA handle es sich dabei um eine Art Virus, der seine Nerven zerstört hat. Folge ist, dass Louie Koordinationsstörungen hat und aufgrund dieser nicht fliegen kann (er kann sich nicht steuern). Ebenfalls kann es vorkommen, dass er an "schlechten Tagen" Krämpfe bekommt oder seinen Kopf nicht bewegen kann. Entsprechend nimmt er Haltungen ein, die Unwissende als krankhaft oder bizarr empfinden könnten. Dies ist jedoch ein Zustand, der abhängig von ausreichender und vitaminreicher Versorgung abhängt. Durch die Gabe von B-Vitaminen können diese Symptome gelindert und sogar gänzlich beseitigt werden. Seine Flugfähigkeit kommt dadurch allerdings nicht zurück, da es für eine "Heilung" zu spät ist. Ausgeschlossen ist es aber nicht, denn er hatte vorletztes Jahr schon mal gezeigt, dass er in eine Flughöhe von ca. einem halben Meter durchaus gerade fliegen kann. Das hat ihn wahrscheinlich selbst so verblüfft, sodass er nicht wusste, was ihm gerade geschieht. Vielleicht könnte er es auch irgendwann lernen, wenn er öfter üben würde. Aber dazu werden wir ihn nicht zwingen!
Jetzt ist die Frage: Hat sich der Züchter strafbar gemacht, den Welli zu verkaufen? Laut Aussagen des Vorbesitzers war damals nicht bekannt, dass Louie nicht fliegen kann. Hat er sich jetzt strafbar gemacht, mir den Welli zu übergeben? Habe ich mich strafbar gemacht, ihn aufgenommen und nicht einschläfern lassen zu haben? Hat sich der Tierarzt strafbar gemacht, weil er ihn mir nach Eingangsuntersuchung wieder mitgegeben und nicht eingeschläfert hat?
Louie ist weder gebrechlich, noch abgetrieben, noch krank, geschweigedenn alt. Er ist putzmunter und quietschlebendig, aktiver als seine fliegenden Artgenossen und abgesehen von der Nervenstörung auch körperlich (einschließlich Gefieder) gesund! Ein eventuelles Leiden / Schmerzen ist durch eine gesunde Ernährung, notfalls mit ergänzenden B-Vitaminen behandelbar. Also schließe ich daraus, dass das oben genannte Gesetz in diesem Falle und nach aktueller Sachlage nicht anwendbar ist und somit auch kein Verstoß vorliegt.
Wie sehr ihr das? Welche Erfahrungen oder Gedanken habt ihr dazu?